Diplomarbeit

Veränderungen, oft in kleinen Schritten, manchmal in Form Ein Bürger der Vereinigten Staaten verdiente im Jahr 2000 etwa das Zwanzigfache gegenüber dem durchschnittlichen Einkommen im Jahr 1800. Aber nicht nur das Einkommen erhöhte sich in diesem Zeitraum enorm, sondern es entstand auch eine ungeheure Vielzahl neuer Produkte mit stetig verbesserter Qualität. Dem heutigen Arbeiter stehen Dinge zur Verfügung, von denen selbst König Ludwig XIV. nur hätte träumen können. Diese förmliche Wohlstandsexplosion ist im Laufe der Menschheitsgeschichte eine relativ junge Erscheinung. Im Zeitraum von Jesu Geburt bis 1800 verdoppelte sich das Einkommen im Schnitt nur alle 637 Jahre. Was passierte also in jener historischen Epoche gegen Ende des 18. Jahrhundert als der Wohlstand schlagartig zu wachsen begann? Die kapitalistische Maschine, wie sie Joseph Alois Schumpeter zu nennen pflegte, wurde zum Leben erweckt!

Fortan begann eine Epoche des Aufbruchs und der galoppierenden Veränderungen. Ein um das andere Mal ergriffen Unternehmer die Initiative, scheuten keine Gefahren und trotzten gesellschaftlichen Widerständen, um eine unternehmerische Vision zu verwirklichen. Neue Produkte und Erfindungen veränderten unaufhörlich das Bild der Gesellschaft. Textilfabriken mit mechanischen Webstühlen brachten den Menschen qualitativ hochwertige Kleidung zu günstigen Preisen. Diesen Fortschritt konnten auch die Weber nicht aufhalten, die Arkwrights Fabrik wutentbrannt zerstörten. Das Zeitalter der Eisenbahnen verschweißte die riesigen Weiten Amerikas zu einem Kontinent und kaum hatten sich die Menschen an die tosenden Lokomotiven gewöhnt, drängten auf einmal elektrische Straßenbahnen und Automobile in das Stadtbild. Ein zeitgenössisches Video aus San Fransisco im Jahr 1908 zeigt das Aufeinanderprallen der Epochen. Die Straßen sind bevölkert von Fahrrädern, Straßenbahnen, Pferdekutschen und den ersten Automobilen. Heute sind die Pferdekutschen aus dem Städtebild verschwunden und Autos bevölkern die Straße revolutionärer Umbrüche, sind das Wesen des Kapitalismus. Neue Konsumgüter, neue Produktionsverfahren, neue Organisationsformen und neue Märkte verändern unaufhörlich das Wirtschaftsbild und verdrängen das Althergebrachte. Es findet ein immerwährender Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ statt. Mit diesem Ausdruck beschreibt Joseph Schumpeter 1948 in „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ die treibende Kraft der wirtschaftlichen Entwicklung. Ohne Wandel kann das kapitalistische System nicht funktionieren, so lautet seine These. Die Zerstörung alter, ineffizienter Strukturen ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass Neues entstehen und wirtschaftliches Wachstum stattfinden kann. Das Aufkommen einer neuen Innovation führt neue Unternehmen an die Spitze. Für etablierte Firmen hingegen bedeutet es oftmals den Tod. Genau so wie vor etwa 100 Jahren die Kraftfahrzeugindustrie die Branche der Pferdekutschenbauer verdrängte, muss auch heute jedes Unternehmen dem „Sturm der schöpferischen Zerstörung“ standhalten.

Ein funktionierender Kapitalismus kann langfristig die Lebensqualität vieler Menschen verbessern. Damit dessen Funktionieren gewährleistet ist, muss allerdings – wenn Schumpeter Recht hat – auch der Prozess der schöpferischen Zerstörung als notwendige Begleiterscheinung akzeptiert werden. Aber es ist gerade diese hohe innere Veränderungsdynamik des kapitalistischen Systems, welche eine soziale Atmosphäre der Feindschaft gegenüber ihm schafft, so dass die Vernunft des wissenschaftlichen Arguments notwendig ist, um es gegen seine Kritiker zu verteidigen. Ziel dieser Arbeit ist es, das Wirtschaftsmodell von Joseph Schumpeter vorzustellen und zu untersuchen, welche ökonomischen Anpassungsmechanismen beim Prozess der schöpferischen Zerstörung stattfinden. Mit den gewonnenen Erkenntnissen sollen dann konkrete wirtschaftspolitische Handlungsvorschläge zur Diskussion gestellt werden.

Viele Spass beim Lesen meiner Diplomarbeit
Simon Betschinger